Immobilienbewertung in Krisenzeiten
Immobilienbewertung in Krisenzeiten

Wenn sich Nachrichten quasi täglich ändern, Transaktionen fehlen und das Marktgeschehen nicht einfach fortgeschrieben werden kann, stehen auch Immobilienwertermittler vor ungewohnten Herausforderungen. In einem Beitrag für „Immobilien & Finanzierung“ haben wir die Segmente Wohnen, Büro, Einzelhandel, Logistik und Hotel aus Bewertersicht beleuchtet.
In den Fachmedien sind Nachrichten zu lesen wie „Gewerbeimmobilien in der Coronakrise – auch in Spitzenlagen kommt es zu Korrekturen“ und „Werte von Top-Büros weiter gestiegen“. Wie passt das zusammen? Immobilienbewertung sollte grundsätzlich faktenbasiert sein und das tatsächliche Marktgeschehen abbilden. Fakt ist zunächst, dass die Pandemie einen Schock und eine massive Verunsicherung ausgelöst hat. Fakt ist aber auch, dass die Pandemie keine flächendeckende Immobilienkrise hervorgerufen hat und von einem allgemeinen Preisverfall nichts zu spüren ist. Dass Corona sich gar nicht auf den Immobilienmarkt ausgewirkt hat, ist jedoch falsch. Differenzierung ist mehr denn je entscheidend.
Weniger Transaktionen gleich weniger Marktinformationen
Im ersten Lockdown im März fand mehr oder weniger ein Stillstand des Marktgeschehens statt. In dessen Folge ging das Transaktionsvolumen insgesamt massiv zurück. Bei manchen Marktsegmenten kam es im Verlauf des Jahres zu einem Aufholeffekt. Ein Mangel an Transaktionen von einzelnen Assetklassen bedeutet für den Immobiliengutachter zunächst eine geringe Anzahl an Marktinformationen, die er bei der Gutachtenerstellung auswerten kann. Erschwerend kommt hinzu, dass das Marktgeschehen sehr uneinheitlich ist. Die Bewertung wird dadurch anspruchsvoller, da deutlich mehr Marktrecherche betrieben werden muss als vor Ausbruch der Pandemie. Die „Halbwertszeit“ von Marktberichten ist deutlich kürzer geworden.
Der Grund für die oftmals gegensätzlichen Überschriften zur Entwicklung des Immobilienmarkts ist also, dass sich bei den verschiedenen Objektnutzungsarten sehr unterschiedliche Marktentwicklungen ergeben und keine einheitliche Richtung zu erkennen ist. Auch das subjektive Empfinden der Akteure der Immobilienwirtschaft stimmt damit überein, wie die Auswertung des Deutsche Hypo Immobilienklimas ergab. Die Notwendigkeit zu noch umfangreicherer Analyse des Marktumfelds einer konkreten Nutzungsart macht die Bewertung einer Immobilie aufwendiger als zuvor. Selbst innerhalb der Objekttypen gibt es gravierende Unterschiede, wie der folgende Kurzüberblick zeigt.
Wohnen
Der Wohnimmobilienmarkt zeigt von allen Objektarten die geringsten Veränderungen. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen während des ersten Lockdowns im Frühjahr fanden vorübergehend weniger Transaktionen statt. Im Anschluss knüpfte die Marktentwicklung in etwa dort an, wo sie vor Ausbruch der Pandemie bereits stand, und setzte ihre Entwicklung fort. Nicht im Frühjahr durchgeführte Transaktionen wurden weitgehend nachgeholt. Mieten und Kaufpreise steigen weiter an, auch wenn mancherorts die Dynamik der Preisentwicklung etwas geringer ausfällt. Das mag daran liegen, dass volkswirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie teilweise durch staatliche Unterstützung abgewendet oder zumindest aufgeschoben werden konnten. Das Zinsumfeld ist weiterhin sehr niedrig und der Wunsch nach sicheren Anlagemöglichkeiten ungebrochen hoch.
Selbst im Falle des volumenstarken Segments der Wohnimmobilien sind oftmals kaum tagesaktuelle Informationen zu Transaktionen verfügbar. Bei der Einschätzung ist daher die generelle Wertentwicklung eine wichtige Orientierungshilfe. Laut RIWIS-Datenbank von bulwiengesa haben sich von Q1/2020 bis Q3/2020 und somit unter der Beeinflussung durch die Corona-Pandemie folgende Veränderungen in den deutschen A-Städten ergeben: Die durchschnittlichen Vervielfacher von Mehrfamilienhäusern stiegen durchweg an. Hierbei ergeben sich Zuwächse von +1,3 % in München bis hin zu +4,7 % in Köln. Kaufpreise für neu erbaute Eigentumswohnungen legten durchschnittlich an Wert zu zwischen +0,8 % in Berlin und +9,3 % in Hamburg und für Eigentumswohnungen im Bestand zwischen +1,3 % in München und +7,7 % in Frankfurt/Main. Auch die Mieten stiegen in diesen Städten im Durchschnitt überwiegend an. Die durchschnittlichen Mieten für wiedervermietete Wohnungen legten zwischen +0,9 % in Berlin und +2,5 % in Hamburg zu, in Köln und München ist eine Stagnation festzustellen. Die Mieten für Wohnungen im Erstbezug stiegen im Durchschnitt durchweg an. München legt hier auf bereits sehr hohem Preisniveau weiterhin geringfügig mit +0,5 % zu, der höchste Anstieg ist in Berlin mit +3,5 % festzustellen.
Büro
Auch der Büroimmobilienmarkt ist zum Erstaunen mancher Marktteilnehmer sehr stabil, auch wenn Anmietungsentscheidungen aufgrund der bestehenden Unsicherheiten aufgeschoben werden und die Diskussion lebhaft geführt wird, ob langfristig vermehrt im Homeoffice gearbeitet wird und dadurch weniger Büroflächen benötigt werden. Eine zunehmende Flexibilisierung mündet jedoch nicht zwangsläufig in eine tatsächliche Reduzierung der Büroflächen. Schließlich muss auch derjenige einen Arbeitsplatz einnehmen können, der nur noch an drei statt wie zuvor an fünf Tagen im Büro arbeitet. Zudem bestand gerade in den Großstädten vor der Pandemie eine Angebotsknappheit. Die wirtschaftliche Entwicklung zeigt, dass bislang zumindest staatliche eingeleitete Maßnahmen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie abmildern konnten.
Aufgrund des krisenbedingten Nachfrageschocks brachen im Frühjahr dieses Jahres die Vermietungsumsätze ein – ab dem dritten Quartal ist hier eine deutliche Erholung spürbar. Dennoch dürften wir am Ende des Jahres bei einem Umsatzrückgang von 20 % bis 40 % gegenüber dem Vorjahr liegen. Aufgrund der sehr guten Marktverfassung vor Beginn der Corona-Pandemie halten sich die negativen Auswirkungen in den wichtigsten deutschen Bürostandorten bislang im Rahmen; partiell, insbesondere in den weniger etablierten Standorten, sind jedoch durchaus stärkere Korrekturbewegungen festzustellen.
Die grundsätzlich weiterhin gute Marktlage in den A-Märkten spiegelt sich in den Key-Indikatoren der einzelnen Büromärkte wider. So bleiben die Spitzenrenditen seit dem ersten Quartal 2020 weitgehend konstant. Auch die Spitzenmieten für Büroflächen an diesen Standorten blieben von Q1/2020 bis Q3/2020 flächendeckend weitgehend gleich und schwanken an dem einen oder anderen Standort um etwa 50 Cent.
Aus Sicht des Bewerters ist es von großer Bedeutung, diese Daten richtig interpretieren zu können: Auch wenn die Nominalmieten bislang offensichtlich konstant blieben, kann man davon nicht auf die Effektivmieten schließen. Hier muss man bei der Analyse der Mietverträge die sogenannten „Incentives“ berücksichtigen, die ein- oder auch mehrmalige mietfreie Zeitabschnitte beschreiben und auf Eigentümerseite zu einer Verminderung der gesamthaften Mieteinnahmen führen.
Einzelhandel
Einzelhandelsimmobilie ist nicht gleich Einzelhandelsimmobilie. Bei der Bewertung ist zu differenzieren zwischen Objekten, die der ortsnahen täglichen Versorgung dienen, also Lebensmitteleinzelhandel, und solchen, in denen zu großen Teilen Kleidung, Schuhe, Schmuck und Elektronikartikel angeboten werden, wie beispielsweise Shoppingcenter. Letztere waren schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie von einem Strukturwandel betroffen, der durch Corona nun eine weitere Beschleunigung erfährt. Es ist davon auszugehen, dass die Umsätze, die der stationäre Einzelhandel während der Pandemie an den Onlinehandel verloren hat, zukünftig nicht oder zumindest nicht mehr vollständig dem stationären Einzelhandel zugeschrieben werden können. Folglich ist bei solchen Objekttypen von deutlichen Preisrückgängen auszugehen.
Die Nahversorgungs- und Fachmärkte hingegen konnten von der Corona-Pandemie profitieren und teilweise sogar höhere Umsätze verbuchen als im Vorjahr. Aufgrund der hohen Liquidität im Markt werden insbesondere Objekte mit günstigem Risikoprofil gesucht. Stimmen Lage, Umsatz, Miethöhe und Mietvertragslaufzeit mit den Vorstellungen der Investoren überein und handelt es sich um ein Core-Objekte, sind die Renditen nochmals gesunken. Die Bruttorenditen von Fachmärkten betragen in der Spitze ca. 4,5 % und zeigen sich stabil. Auch hier müssen die vorliegenden Informationen sorgfältig abgewogen und interpretiert werden. Ohne Zweifel sieht die Marktlage für Shoppingcenter weniger rosig aus. In diesem Segment beträgt die Bruttorendite in der Spitze zur Zeit ca. 5,5 % und mit einem weiteren Anstieg ist zu rechnen.
Logistik
Das Logistiksegment ist sicherlich als der Profiteur der Coronakrise schlechthin zu bezeichnen. Die Logistik hat in ihrer Bedeutung dazugewonnen und gilt als systemrelevant, auch ohne Corona. Die im Einzelhandel zu beobachtende Verschiebung von Umsätzen vom stationären Handel hin zum Onlinehandel sorgt für eine zunehmende Nachfrage nach Logistikobjekten und weiter steigenden Preisen. Dazu kommt, dass sich Logistikimmobilien in den zurückliegenden Jahren als anerkannte Assetklasse etablieren konnten. Hier sind mittlerweile Nettorenditen von deutlich unter 4 % zu beobachten. Das Transaktionsvolumen stieg bis zum dritten Quartal in einem Vorjahresvergleich um ca. 25 %.
Hotel
Hotels sind ein Paradebeispiel, dass es sich lohnt, ein zweites und auch ein drittes Mal hinzuschauen. Wie keine andere Immobilienart sind Hotels unmittelbar vom Lockdown und den allgemeinen Verhaltensregeln infolge der Pandemie betroffen (siehe auch Blogartikel „Gute Nacht? Hotelprojekte in Deutschland“). Der dramatische Auslastungs- und deutlicher Umsatzeinbruch schlägt sich in niedrigeren RevPars (Revenue per available Room) nieder und führt in Folge auch zu steigenden Renditen. Analysten gehen davon aus, dass eine Auslastung wie vor Ausbruch der Pandemie erst im Jahr 2023 oder gar 2024 erreicht werden kann. Zu befürchten ist, dass zahlreiche Hotelbetriebe den Umsatzeinbruch nicht verkraften und Insolvenz anmelden müssen. Die Bereitschaft von Banken, Hotels zu finanzieren, ist deutlich gesunken. Das Transaktionsvolumen von Q1 bis Q3 sank im Vergleich zum Vorjahr um ca. 37 %; Notverkäufe indes sind noch nicht zu beobachten. Kaufwillige Investoren wünschen sich, dass Hotels günstig auf den Markt kommen.
Analysiert man die wirtschaftlichen Kennzahlen eines Hotelbetriebs eingehender, wird man gegebenenfalls feststellen können, dass auch bei einer geringen Auslastung, wie sie im Corona-Jahr 2020 zu erwarten ist, ein für den Betreiber wirtschaftliches Ergebnis erzielt werden kann. Entscheidend, nicht nur für die Ertragswertermittlung, ist die Höhe der zu entrichtenden Pacht. Bei entsprechend niedriger Pacht kann der Hotelbetrieb auch dann noch auskömmlich sein, wenn die Auslastung deutlich geringer ist als üblich. Dies betrifft jedoch nur die vergleichsweise wenigen Hotels, bei denen niedrige Fixpachten vereinbart sind.
Fazit: Intensivere Auseinandersetzungen als je zuvor
Pauschale Aussagen zu Wertänderungen konkreter Objekte sind nicht möglich. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Immobilienarten betroffen, um einen Corona-Effekt abbilden zu können, wie die oben genannten Wertspannen beispielhaft aufzeigen. Erfolgt die erforderliche Differenzierung der zur Verfügung stehenden Marktinformationen, können sich stark unterschiedliche Wertentwicklungen ergeben. Wichtiger denn je ist, sich intensiv mit der Immobilie, ihrem Standort, dem Konzept, der wirtschaftlichen Tragfähigkeit, den Miet- und Pachtverhältnissen etc. zu beschäftigen und umfangreiche Marktanalysen vorzunehmen. Bei Rückschlüssen auf Zeiträume vor Ausbruch der Pandemie muss im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Immobilie unter anderem die Frage beantwortet werden, inwiefern die Mieten in der Zukunft mit der gleichen Sicherheit zu vereinnahmen sind wie in der Vergangenheit.
Hinweis: Der (für den Blog gekürzte) Text ist zuerst erschienen in „Immobilien & Finanzierung“, Ausgabe 12/2020.
Ansprechpartner: Marcus Badmann, Geschäftsführer der Immobilienbewertungsgesellschaft bulwiengesa appraisal GmbH, badmann [at] bulwiengesa-appraisal.de