Begrünte Fassaden sind schön anzusehen und ökologisch wertvoll – sie reduzieren den Wärmeverlust.

Der ESG-Nebel lichtet sich


Hintergrund
10.12.2021 Autor/en: Ellen Heinrich

Das Thema ESG beschäftigt die Immobilienbranche erheblich. Noch immer ist oft unklar, welche Nachhaltigkeitsrisiken auszuweisen sind und welchen Einfluss diese auf die Preisentwicklungen haben. Viele sorgen sich, dass der Markt sich spaltet und „Stranded Assets“ entstehen. Aber der Trend zur nachhaltigen Immobilie bietet auch Chancen.

Environmental, Social & Governance, kurz ESG, wird das unternehmerische Handeln vieler Investoren, Bestandshalter, Projektentwickler und anderer Akteure der Immobilienbranche beeinflussen. So ist das von der EU auch beabsichtigt, denn Gebäude sind z.B. in Deutschland für rund 35 % des Energieverbrauchs und 30 % der CO2-Emissionen verantwortlich.

Das Thema schwelt seit Jahrzehnten

Dabei ist das Thema eigentlich nicht neu. Die EU beschäftigt sich schon seit mehreren Jahrzehnten intensiv mit Klima- und Umweltschutz. Ältere Beispiele, die auch die Immobilienbranche betreffen, sind die Harmonisierung der Umweltverträglichkeitsprüfungen ab 1985 sowie die Green-Buildings-Initiative 2005. Mit dem Grünbuch zu Corporate Social Responsibility (CSR) begann die EU 2001, Nachhaltigkeit auf Unternehmensebene zu bringen. Die 2014 konkretisierten CSR-Richtlinien forderten von ausgewählten Unternehmen im Kapitalmarkt eine nichtfinanzielle Berichterstattung (Non-Financial Reporting Directive, NFRD).

Einen deutlichen Bedeutungsschub erhielt der europäische Nachhaltigkeitsansatz durch das Pariser Klimaschutzabkommen und die Verabschiedung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015. Ihr folgte 2018 der EU-Aktionsplan zur „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“, der die Neuausrichtung der Kapitalflüsse hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft umfasst, die Forderung, Nachhaltigkeit in das Risikomanagement einzubetten und die Förderung von Transparenz und Langfristigkeit. Aus ihm entstanden und entstehen mehrere EU-Rechtsakte, die teilweise auch für den Immobilienmarkt relevant sind. 

Zwei wesentliche Regularien sollen hier kurz vorgestellt werden.

Kurzskizze zweier wichtiger Regularien: SFDR und Taxonomie-Verordnung

2019 wurde seitens der EU die NFRD ergänzt durch die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Sustainable Finance Disclosure Regulation – SFDR). Die betroffenen Unternehmen müssen nun erläutern, inwieweit bei ihren Produkten sowie im Unternehmen selbst Nachhaltigkeitsrisiken zu erwarten sind und inwieweit Nachhaltigkeitsaspekte in ihren Investmentprozessen eine Rolle spielen. Sie erhalten außerdem die Möglichkeit, ihre Produkte zu kennzeichnen, sofern sie gewisse Nachhaltigkeitsziele verfolgen (Artikel-8- oder Artikel-9-Fonds). Zugleich müssen sie aber auch Produkte kennzeichnen, die dies nicht tun (Artikel-6-Fonds). Die SFDR unterscheidet zwischen unternehmens- und produktbezogenen Transparenzpflichten. Sie fordert eine Due-Dilligence-Policy zur Nachhaltigkeit sowie die Veröffentlichung der ökologischen und sozialen Merkmale von Unternehmen und Produkt. Detailliertere Angaben zu den relevanten Merkmalen und dem Prozedere sowie Umsetzungsvorschläge hierzu findet man in dem 2021 veröffentlichten Bericht zu den technischen Regulierungsstandards, den RTS. Dort sind 14 verpflichtende Indikatoren und weitere 24 optionale Indikatoren aufgelistet.

2020 wurde ergänzend ein Klassifikationssystem verabschiedet, die ökologische Taxonomie-Verordnung. Sie soll Kriterien definieren, die den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition einheitlich ermitteln. Ausgewählte Unternehmen müssen ab 2022 über den nachhaltigen („taxonomie-konformen“) Anteil ihrer jährlichen Umsatzerlöse, ihrer Investitions- (CapEx) und ihrer Betriebsausgaben (OpEx) berichten – also ihrer Wirtschaftstätigkeiten. Kurz: Eine Wirtschaftstätigkeit gilt als nachhaltig, wenn sie zu mindestens einem der insgesamt sechs in der Taxonomie definierten Umweltzielen beiträgt, ohne eines der anderen Ziele erheblich zu beeinträchtigen. Die Aktivität muss außerdem die Mindestanforderungen hinsichtlich Governance und sozialen Kriterien (Menschen- und Arbeitsrechte) erfüllen. Inwieweit eine Wirtschaftstätigkeit zu einem der Umweltziele beiträgt, regelt die Taxonomie durch sogenannte TSC, die Technical Screening Criteria. Zusätzlich ist derzeit eine soziale Taxonomie in Diskussion, um auch das S in ESG zu bedienen. Die Taxonomie ist also noch im Wandel.

Wird die Suche nach ESG-konformen Assets den Markt spalten? 

Ohne auf die einzelnen Kriterien der Taxonomie, der SFDR oder auch die hier nicht erwähnten weiteren Regularien, Aktionspläne und Strategien zum Beispiel im Zuge des European Green Deals weiter einzugehen, ist erkennbar: Die Thematik beschäftigt die Akteure sichtlich. Sie erwarten – wie von der EU ja auch beabsichtigt – Effekte bei der Finanzierung und von der Nachfrageseite. Es besteht die Sorge, dass sogenannte „Stranded Assets“ entstehen könnten oder der Markt sich spalten wird. Die von der Reportingpflicht betroffenen Banken und institutionellen Endinvestoren orientieren sich in der Tat schon jetzt um und suchen vornehmlich „ESG-konforme“ Investments. Diese müssen allerdings nicht unbedingt EU-Taxonomie-konform sein, denn Artikel-8-Fonds haben hier erheblichen Spielraum. 

Daraus und aus der Frage, ab wann ein Artikel-8-Fonds nur „Greenwashing“ ist, ergibt sich ein großes Problem: Derzeit kann niemand einen zu erwartenden Preisaufschlag oder, bei nicht „ESG-konformen“ Investments, einen Preisabschlag bzw. bei anstehenden Krediten die Zinsauf- und -abschläge nennen. Hinzu kommt, dass Mieter noch keine erkennbaren Mietaufschläge oder -abschläge zahlen, auch wenn hier sicher Ausnahmen die Regel bestätigen. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass trotz der gesellschaftlichen Entwicklung die Beweggründe der Unternehmen für Mehrausgaben und kostenintensivere Investments weiterhin monetär getrieben sind. Die Regularien greifen hier noch nicht. Anders sieht die Situation bei Eigennutzern aus. Hier wirken andere Vorgaben durchaus schon, allem voran die 2021 eingeführte CO2-Steuer: Unternehmen suchen nun Möglichkeiten, ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren; weil es sich finanziell auch rentiert, besteht durchaus Interesse und Bereitschaft, entsprechend zu investieren – zumindest in den eigenen Immobilienbestand.

Da die Kriterien der Taxonomie noch nicht vollständig definiert sind und die Umsetzung der SFDR noch im Werden ist, kommen zu diesen Marktpreis-Unklarheiten weitere Unsicherheiten hinzu, die eine Aussage zum Verhalten der Marktteilnehmer erschweren.

Chancen nicht nur für durchdachten Neubau, sondern auch für den Bestand

Trotz dieser Unklarheiten ist aber schon heute absehbar, dass der zunehmende Trend zur nachhaltigen Immobilie einige interessante Potenziale bieten wird. Bei Neubauprojekten können Projektentwickler mit ESG-Maßnahmen, die schon bei der Standortwahl beginnen und über die Nutzungskonzeption bis zu Bau und Betrieb reichen, auch der direkten Umgebung etlichen zusätzlichen Mehrwert bringen. Dies wird nicht nur die wachsende Klientel interessierter institutioneller Investoren und Finanzierer ansprechen. Solchen Projekten wird auch vermehrt Zuspruch der Kommunen und Bürger sicher sein. Es wäre nicht verwunderlich, wenn so manches Grundstück leichter erwerbbar und das ein oder andere Projekt zügiger umsetzbar sein wird.

Obwohl die Taxonomie derzeit Neubau zu bevorzugen scheint, ist am Markt die Wertigkeit und v.a. das Volumen der Bestandsimmobilien für ESG durchaus bekannt und stark in Diskussion. So ist zu erwarten, dass einige Artikel-8-Fonds auch dieses Thema aufgreifen werden. Umfassende Sanierungen werden dadurch interessanter; dabei wird die Zero-Carbon-Strategie mit Investitionen in Wärmedämmung, nachhaltiger Energiegewinnung und Wasserressourcen-Management oder, weiter gedacht, Materialkataster und Top-Abfallrecycling währen der Sanierungsphasen eine wichtige Rolle spielen. Nachträglich umsetzen lassen sich beispielsweise auch nachhaltige Mobilitätslösungen oder zusätzliche Lebensräume durch eine Begrünung von Immobilie und Grundstück im Bestand. Auch die soziale Komponente der ESG-Thematik kann im Bestand bedient werden, z.B. durch die Umnutzung in preisgünstigen Wohn- oder Gewerberaum oder mit einem generell nachhaltigen neuen Nutzungskonzept, etwa mit neuer integrationsfördernder sozialer Infrastruktur. 

Projektentwickler können also mit ESG-konformen Produkten „am Ball bleiben“, denn bald wird ESG ein übergreifendes Merkmal für ein Core-Projekt sein. Und sie können die Beziehungen zu den entscheidungsrelevanten Stakeholdern optimieren. Wer heute schon diese Schritte geht, profitiert von einer hohen Lernkurve und ist in seinen Prozessen dann sicher aufgestellt, wenn ESG-Kriterien letztendlich doch in Preisen und Finanzierungskonditionen ihre Spuren hinterlassen.

bulwiengesa beobachtet kontinuierlich den Markt bezüglich ESG. Denn wenn ESG auch heute noch keine direkten preislichen Effekte hat, werden wir die Entwicklung hier weiter im Blick behalten, um Zeitpunkt und Umfang möglicher Preisanpassungen für ESG-konforme Objekte zu erfassen. Unseren Kunden stehen wir zum Thema ESG derzeit gerne beratend zur Seite. Mögliche aktuelle Ansätze reichen von Workshops beispielsweise mit dem Ziel, ein Maßnahmenpaket für ein konkretes Projekt zu definieren, über das Angebot, ausgewählte ESG-Entwicklungen (z.B. Artikel-8-/-9-Fonds, Scoringansätze, Zertifikate) am Immobilienmarkt zu screenen bis hin zu erweiterten Produkten. Zukünftig kann dann z.B. RIWIS auf Projektebene Zertifizierungsinformationen anzeigen.

 

Ansprechpartnerin: 
Ellen Heinrich
Senior Consultant bei bulwiengesa und ESG-Referentin
heinrich@bulwiengesa.de

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